Forschung

Vom WBÖ zum ABC – Geschichte und Ziele

Bürger*innen haben in der Linguistik schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Gerade im Bereich der lexikalischen Variation waren sie – lange bevor sich der Begriff Citizen Science etablierte – nicht nur passive Lieferant*innen sprachlicher Daten, sondern beteiligten sich aktiv an deren Erhebung. Ein prominentes Beispiel ist das „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“ (WBÖ), dessen Datensammlung ursprünglich von Bürger*innen zusammengetragen wurde. Bereits seit 1914 widmet sich dieses Projekt der umfassenden Dokumentation und lexikographischen Analyse der reichen und einzigartigen Dialektlandschaft des (historischen) Österreichs. Jetzt wollen wir Bürger*innen zurück zum Projekt holen, um die Daten zu verarbeiten und zu evaluieren, und möchten sie einladen, ihr sprachliches und kulturelles Erbe (wieder) zu entdecken!

Grundlage des WBÖ sind Daten aus dem sogenannten ‘Hauptkatalog’, einer Zettelsammlung mit ca. 3,6 Millionen Einträgen mit Dialektproben, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesammelt wurden. Der überwiegende Teil der Dialektdaten dieser Sammlung wurde indirekt mit Hilfe sogenannter ‘Sammler’ auf der Grundlage von Fragebögen erhoben. Während ein Großteil der Zettel (ab Buchstabe D) aus redaktionellen und archivarischen Gründen bereits digitalisiert und als Datenbank über das Lexikalische Informationssystem Österreich (LIÖ) öffentlich zugänglich ist, existieren für die Buchstaben A, B/P und C nur die physischen Papierzettel sowie Scans. An dieser Stelle setzt das Projekt „Das ABC der Dialekte: Historische Notizen digital erforschen“ an, welches folgende zwei Ziele verfolgt:

  1. Bürger*innen transkribieren originale WBÖ-Handzettel (Sammlung der Buchstaben A bis C) und tragen so zur Vervollständigung der bereits bestehenden WBÖ-Datenbank bei.
  2. Bürger*innen reflektieren den Inhalt der 100 Jahre alten Zettel im Hinblick auf den aktuellen Dialektgebrauch und werden so in Analysen zum Dialektwandel der letzten 80-100 Jahre eingebunden. (z. B.: Wird ein Dialektwort in Österreich noch aktiv verwendet? Hat sich die Bedeutung eines bestimmten Wortes geändert?).

Das Problem mit der Schrift

Eine der Herausforderungen bei der Arbeit mit den Zetteln ist die große Anzahl unterschiedlicher Handschriften, darunter auch die Kurrentschrift. Darüber hinaus wurde ein phonetisches Notationssystem (eine frühe Variante der Lautschrift Teuthonista) verwendet, um die Dialektaussprache wiederzugeben, die viele diakritische Zeichen enthält.

Um den Teilnehmenden zu helfen, diese Hindernisse zu überwinden und die Schrift zu entschlüsseln, haben wir Unterstützungsmaterialien und Tipps im Benutzerhandbuch aufgelistet, welches auf der rechten Seite des Bildschirms aufgerufen werden kann.

Jüngere und ältere Bürger*innen in diesen Transkriptions- und Evaluationsprozess einzubeziehen, aber vor allem jüngere und ältere Bürger*innen zusammenzubringen, ist eine Bereicherung für das Hauptprojekt, den SFB „Deutsch in Österreich. Variation - Kontakt - Perzeption“ (DiÖ) (FWF F060), da ältere Personen typischerweise über eine hohe Dialektkompetenz verfügen und mit den vielfältigen Handschriftsystemen, die wir auf den Zetteln der Sammlung finden, noch vertraut sind, während jüngere Personen über eine hohe digitale Kompetenz verfügen. Auf diese Weise bringen wir Generationen und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammen, um auch die generationenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Gleichzeitig werden ihre Kompetenz und ihr Wissen nicht nur wertgeschätzt, sondern auch im sprachlichen und kulturellen Kontext nach außen sichtbar gemacht. Die im TCS-Projekt entstehende Plattform wird sowohl an das bestehende LIÖ-Projekt (das die Publikationsplattform des WBÖ bereitstellt) als auch an die aktuellen lexikalischen Daten des PP03 im DiÖ-Projekt anknüpfen. Unser Projekt fungiert somit auch als Brücke zwischen den historischen Dialektdaten (WBÖ) und den aktuellen Daten, die in DiÖ erhoben werden.

Ein besonderer Mehrwert des Projekts besteht darin, dass das historische Material, das vor rund 100 Jahren mit Citizen-Science-Methoden (auch wenn sie damals noch nicht so hießen) gesammelt wurden, den Bürger*innen zugänglich gemacht wird und sie zur Auswertung und Transkription dieses historischen Materials beitragen.